Seit Anbeginn unserer Zeit üben Urwälder eine bis heute ungebrochene Faszination auf Menschen aus. Der Urwald versinnbildlicht auf unvergleichbarer Weise gleichermaßen Schutz und Nahrung wie auch Gefahr und Bedrohung.
„Die wilden Wälder künden vom einstigen Paradies.“
Matthias Schickhofer
Diese urtümliche Faszination des Waldes erfasste Matthias Schickhofer schon in Kindertagen, in denen er im Waldviertel bereits dem „Ruf der Wälder“ folgte, und hat ihn bis heute nicht verlassen. „Ich will mit dem Buch auch Orte in Österreich präsentieren, die viele Menschen hier nicht vermuten“, erklärt er und nimmt uns mit auf eine Reise zu den letzten Paradiesen – vom verwilderten Urwald über die Gebirgswälder bis zu Wäldern des Nordens und den selteneren sumpfigen Moorwelten.
Die letzten Urwälder
Der Begriff Urwald beschränkt sich nicht auf tropische Regenwälder, sondern definiert bewaldete Gebiete, in die der Mensch noch nie eingegriffen hat. Einige wenige dieser vollkommen unberührten wilden Urwälder existieren (vorwiegend in Extremlagen wie unzugänglichen Schluchten, Hügeln, Bergen sowie Moor- und Sumpfgebieten) tatsächlich auch heute noch in Österreich. Der Urwald „Rothwald“ im Wildnisgebiet
Dürrenstein bildet mit seinen 400 Hektar den flächenmäßig größten Urwald des gesamten Alpenbogens. Darüber hinaus haben sich Urwaldreste im Waldviertler Kamptal, den Kalkalpen, den Karawanken und in der Hainburger Au bis heute gehalten.
Neben diesen echten Urwäldern entstehen zunehmend „Naturwälder“ – diese Gebiete sind zwar nicht vollkommen unberührt, dürfen sich aber zu sogenannten sekundären „Urwäldern“ zurückentwickeln. Besitzer der Flächen werden dabei für ihren Nutzungsentgang entschädigt, um zukünftigen „Urwäldern“ eine Chance zu bieten.
Der Urwald in Gefahr
Angesichts der drohenden – und in den letzten Jahren tatsächlich beobachtbaren – enormen Schäden einseitiger Forstwirtschaft erfolgt ein Bewusstseinswandel der Waldbesitzer: ökologisch instabile Monokulturen werden zunehmend in Mischwälder mit standortgerechten Baumarten umgewandelt. So besteht Hoffnung, künftig auch abseits digital generierter Naturlandschaften, wie sie in Herr der Ringe oder Avatar zu bestaunen sind, dem Bann fantastischer Eindrücke voller ungeschliffener, fruchtbar wuchernder Schönheit zu verfallen.
Schickhofers eindrucksvolles Dschungelbuch erlaubt Einblicke tief in unsere wilden Wälder, ohne Strapazen auf sich nehmen zu müssen, wie sie sich der Fotograf mitunter abverlangte, um die komplexen Landschaftsstimmungen entlegenster Orte ins rechte Licht zu rücken und mit seiner Kamera für uns festzuhalten.
Letztlich dient die Regeneration der Wälder schließlich auch der Regeneration des Menschen, erläutert Schickhofer: „Die letzten wilden Wälder sind nicht nur von einem äußerst hohen ökologischen Wert, sondern können auch eine starke Quelle von Kraft und Inspiration darstellen. In den letzten Paradieswäldern Österreichs ist die Schöpfung sehr unmittelbar erfahrbar.“
Wilde Gebirge
Von den ursprünglichen Laubmischwäldern der Täler sind heute nur noch Reste vorhanden. Gebiete bis zur Baumgrenze und den Almen wurden seit Jahrhunderten intensiv von Menschen genutzt. Es dominieren reizvolle Kulturlandschaften, zur unberührten Natur fehlen aber noch einige Höhenmeter.
Die Wildnis der österreichischen Alpen wurde in den letzten Jahrzehnten erfreulicherweise zunehmend geschützt: Naturnahe Gebiete können beispielsweise in den Nationalparks Hohe Tauern und Kalkalpen, dem
Wildnisgebiet Dürrenstein, dem Europaschutzgebiet Kalkhochalpen, dem Alpenpark Karwendel, dem Biosphärenpark Walsertal, den Schutzgebieten im Kaisergebirge, am Dachsteinplateau, im Toten Gebirge/Warscheneck, im Kärntner Nöblingsgraben, in der Vorarlberger Rohrachschlucht, in den Stubaier und Öztaler Alpen, beim Tiroler Fernpass oder am niederösterreichischen Schneeberg hautnah erlebt werden.
Die Urwälder Nordens
Abseits der schwer zugänglichen Höhenlagen werden naturnahe Landschaften rar. Der Nationalpark Thayatal gehört zu den letzten Gebieten dieser Art in Mitteleuropa. Das Thayatal ist zwar Österreichs kleinster Nationalpark, aufgrund seiner vielfältigen Lebensräume aber einer der artenreichsten. Naturnahe Buchen- und Eichenmischwälder, Trockenrasen mit botanischen Raritäten, artenreiche Wiesen und kleine Flussauen bieten seltenen Tieren wie Wildkatzen und Schwarzstörchen eine sichere Heimat im beinahe menschenleeren Tal. Im Rahmen engagierter Projekte wird hier auch versucht, den Waldrapp, eine der am meisten bedrohten Tierarten der Welt, erneut anzusiedeln.
Für Schickhofer ist das Waldviertel auch persönlich ein äußerst bedeutsamer Platz: „Die Wälder des Waldviertels waren gewissermaßen Teil meiner Kinderstube: Aufgewachsen im mittleren Waldviertel habe ich mich schon als Jugendlicher gerne in der Einsamkeit des Kamptals aufgehalten. Meine Enklave. Mein Meditationsraum.“
Der Urwald wird von der Buche dominiert
Buchen-dominierte Wälder spielen hier die Hauptrolle. Als Nachzügler kehrte die Buche nach der Eiszeit nach Mitteleuropa zurück und setzte sich ursprünglich als beherrschende Baumart durch. Neben kleinen Naturwaldreservaten wie dem Buchenwald bei Gföhl, der Buchenhangwälder bei Raabs oder einem alten Waldmeister-Fichten- Tannen-Buchenwald bei Hermanschlag bestehen heute noch kleinste Reste dieser ursprünglich weitläufigen Buchenurwälder im Kamptal. Naturnahe Mischwälder lassen sich im mittleren Kamptal zwischen dem Dobra-Stausee und Rosenburg sowie im Kremstal zwischen Senftenberg und Albrechtsberg erkunden. Weiters blieben – durch karge, felsige Hänge vor forstwirtschaftlicher Nutzung geschützt – prächtige Naturwälder mit imposanten Felsformationen in der Wachau, dem Strudengau und im Bereich der Schlögener Schlinge erhalten.
Die Moorwelten
Es ist fünf Uhr früh, als Matthias Schickhofer in seinem Auto schlafend plötzlich geweckt wird: „Schnell setzte ich mich auf und wische das Kondenswasser von der Scheibe des Autofensters. Ich kann es kaum glauben: Da draußen steht ein Hirsch im Mondschein und schaut mir tief in die Augen. Eine kurze Sekunde lang blicken wir einander an, dann marschiert der Hirsch in großer Ruhe davon – als ob ihm bewusst wäre, dass ich hinter der Fensterscheibe keine Gefahr für ihn darstelle. Ich greife nach der Kamera, aber da ist er schon weg, verschwunden im Moorwald.“
Moore, Sümpfe und Bruchwälder versinnbildlichen seit jeher unheimliche und geisterhafte Urwildnis. Trotzdem suchten die Menschen sie auf. Folge: Die wenigsten Moore haben so die letzten 200 Jahre überlebt. Regenerierte Hochmoore, wie das Schremser-Hochmoor oder das Lecker- Moor bei Göstling an der Ybbs, bieten vor allem bei Sonnenauf- und – untergang reizvolle Eindrücke und Gelegenheit, seltene Tier- und Pflanzenarten wie Orchideen, Sonnentau, Insekten sowie eine Vielzahl an Vogel- und Amphibienarten in ihrem eigentümlichen Biotop zu beobachten. Neben der Bedeutung als Lebensraum hoch spezialisierter Arten, kommt Mooren laut WWF eine wichtige Rolle im Rahmen des Klimaschutzes zu: Sie speichern im Torf mehr CO2 als jedes andere Ökosystem der Welt. Sie müssen ebenso geschützt und erhalten werden wie auch die anderen wilden Schönheiten unseres Landes?
Autorin: Dr. Claudia Semrau
Interview mit Matthias Schickhofer
Was hat Sie monatelang in die Wälder Österreichs getrieben, um ein Buch darüber zu verfassen?
Matthias Schickhofer: Ich habe seit meiner Jugend eine Affinität zu Wäldern. Schon mit 14 Jahren ging ich in den Wald, um zu fotografieren. Mit diesem Buch möchte ich mich für den Schutz der Wälder, genauer der Urwälder einsetzen. Es ist aber kein Lehrbuch. Mit den Fotos möchte ich die Menschen über ihre Gefühle erreichen.
Was genau ist unter dem Begriff Urwald zu verstehen?
Matthias Schickhofer: Es sind Wälder, die vom Menschen nicht beeinflusst wurden. Davon gibt es aber nicht mehr viele in Österreich, Die meisten Wälder sind Kulturlandschaften. Mein Buch soll dazu beitragen, die letzten Waldreste zu sichern. Es gibt zum Beispiel Verträge der Republik mit den Waldbesitzern, die ja für den Einkommensverlust entschädigt werden. Doch diese Verträge laufen aus. Die Frage ist also: Was passiert dann?
Also geht es darum, einen Ausverkauf des Waldes zu verhindern.
Matthias Schickhofer: Ja, denn es sind Flächen von ungeheurem ökologischem Wert. Wir brauchen diese unberührten, wilden Wälder für den Klimaschutz, für den Artenschutz und zu unserem Schutz.
Ist es nicht schwierig, die Menschen für diese sensible Natur zu interessieren und sie gleichzeitig davon abzuhalten?
Matthias Schickhofer: Deswegen gibt es Naturwälder mit Wanderwegen oder solche, die man mit einer Führung besuchen kann. Und dann gibt es diese ganz sensiblen Flächen, die unberührt bleiben sollen. Einige davon kenne ich, werde sie aber nicht nennen.
Haben Sie für das Projekt nicht große Strapazen auf sich genommen?
Matthias Schickhofer: Ja, denn teilweise waren die Anmarschwege sehr lange. Und dann wartete ich zum Beispiel eine halbe Stunde vor einem Baum auf das richtige Licht, um die Stimmung einzufangen. Die Existenz der Natur wird meist als selbstverständlich angesehen, ihre Ressourcen scheinen unerschöpflich. Das sind sie aber nicht. Und darauf wollte ich mit meinem Buch hinweisen.
Brandstätter Verlag, 192 Seiten , €34,90 (A)
Wann: Frühling bis Herbst
Voraussetzungen
Neben ausreichender Kondition und Trittsicherheit am Berg wird folgende Ausrüstung empfohlen: festes Schuhwerk (Bergschuhe), Regenschutz, Verpflegung und wenn möglich ein Fernglas. Bei Terminen im Herbst ist entsprechend warme Bergausrüstung erforderlich, da die Wanderung bei jedem Wetter stattfindet. Infos
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