Hoch über den Wolken dahingleiten, frei wie ein Vogel. Tief unten liegen Wälder und grüne Täler und ganz weit draußen, beinahe am Ende des Horizonts das tiefblaue Wasser des Meeres. Dorthin gedacht – schon da – weißer, warmer Sand, irgendwo hinter den Felsen rufen Möwen – ein kühner Sprung in das einladende, herrliche Nass. Kleine bunte Fische, Delphine – weiter entfernt der Schatten eines Wals, gemeinsames Schwimmen und spielerisches Tauchen in den Wellen. Zeit spielt keine Rolle, ich kann tun, was immer ich will – und ich tue es völlig ohne Anstrengung, sofort und in traumwandlerischer Geborgenheit. Ich bin, wer ich bin – doch wer bin ich? Der schwerelose Flieger, der elegante Schwimmer – bin ich Träumer oder träume ich, wach zu sein?
Botschaften aus der Tiefe
Träume sind die Boten der Seele. Alltagssituationen werden verarbeitet, ebenso wie Konflikte oder Verdrängtes. Verborgene Potentiale können zum Vorschein kommen, völlig neue Ideen oder Lösungsansätze können sich einen Weg bahnen, wenn der Verstand und das Wachbewusstsein endlich Ruhe geben. Nicht ohne Grund heißt es „Eine Nacht darüber schlafen“, wenn schwierige Entscheidungen anstehen. Im besten Fall ist der Schlaf erholsam für Körper und Geist, ist ein notwendiger Gegenpol zum anstrengenden Alltag.
In der Frühzeit der Menschheitsgeschichte war der Traum heilig, verwoben mit der Realität und wurde als wichtiger Bestandteil des Lebens selbst gesehen. Den nächtlichen Träumen wurde eine besondere Bedeutung zugeschrieben, sie wurden als ein Geschenk voller Ehrfurcht in die Realität integriert. Damit schlechte Träume die Nachtruhe nicht stören hatten die Indianer den Traumfänger geschaffen, der nur die guten Träume ins „Unterbewusstsein“ des Schläfers lässt. Die schlechten Traumsequenzen bleiben hängen und lösen sich in der Morgensonne auf.
Hüter des Schlafs
Das Weltbild der Aufklärung trennte Geist und Materie, Träume galten als dem Verstand untergeordnet. Es dauerte eine geraume Zeit, bis man dem Unbewussten wieder einen gebührenden Platz einräumte. Vor allem die Arbeit von Siegmund Freud – der den Traum zum „Hüter des Schlafs“ erklärte – und in weiterer Folge die vertiefende Forschung des Psychoanalytikers C.C. Jung hat die Aufmerksamkeit dann wieder verstärkt auf die Traumwelt gelenkt.
Nach dem Programm der Natur wäre um etwa 23 Uhr der ideale Zeitpunkt, um ins Bett zu gehen. Dann schüttet die Zirbeldrüse das Schlafhormon Melatonin aus und gibt damit einigen Organen das Signal, in den Standby-Modus zu gehen. Körpertemperatur und Blutdruck sinken. Für Körper und Geist beginnt nun die Zeit der Regeneration. Um drei Uhr morgens haben wir unsere intensivste Schlafphase erreicht, bevor der Organismus um sechs Uhr den Melatoninspiegel absenkt: Blutdruck und Körpertemperatur steigen an. Morgens um sieben ist Tagwache – und haben wir gut geschlafen, ist dann die Welt in Ordnung.
Nachtbuch statt Tagebuch
Doch es gibt sie auch, diese anderen Nächte: Das Schlafbedürfnis ist groß, doch die nötige Ruhe fehlt. Man wälzt sich von einer Seite auf die andere, findet es zu warm oder zu kalt, die Gedanken im Kopf sind zu laut. In solchen Nächten, so glaubten einst die keltischen Druiden, ist man besonders empfänglich für die Botschaften aus der Tiefe, weil man in jener diffusen Zwischenwelt zwischen Schlafen und Wachen wandelt. Der Anthroposoph Rudolf Steiner empfahl sogar, für solche Fälle stets ein „Nachtbuch“ neben dem Bett bereitzuhalten, um darin alle Gedanken notieren zu können. Er glaubte, diese hätten oft eine besondere Bedeutung und gingen im Laufe des Tages nur allzu schnell verloren. In diesem Sinn kann man auch in einer schlafloser Nacht kein Übel, sondern ein kleines Geschenk sehen.
Im Ruhemodus regenerieren
Schlafen ist im Grunde ein Rückzug, ein Loslassen, ein Seinlassen. Fast ein Drittel seines Lebens verbringt der Mensch schlafend – so überrascht es auch nicht, dass die Qualität des Schlafes entscheidend für Stimmung, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit ist. Schlafrituale können das Abtauchen und die Reise in die Nacht erleichtern. Sie versetzen den Körper in eine Art Schlafmodus, die Körperfunktionen werden heruntergefahren und die Gedanken können sich beruhigen. Entscheidend ist, Rituale zu wählen, die besänftigend wirken und das Herz öffnen, um sich liebevoll vom Tag zu verabschieden und sich voller Vertrauen der Nacht zu überantworten. Auch Kontrollverlust muss man können. Musik, Yoga und Meditation locken das Sandmännchen an. Surfen im Internet, Nachrichtensendungen und Serien forensischen Inhalts verreiben es eher. Um schlafen zu können, muss man dem Leben vertrauen, behauptete einmal André Heller.
Schlafen ist ein überlebenswichtiger Vorgang, der noch immer viele Mysterien birgt. Nach wie vor wissen Forscher nicht, warum wir eigentlich schlafen und was mit unserem Bewusstsein auf der dunklen Seite des Lebens geschieht. Feststeht: Erst wenn der Geist abschaltet, regenerieren Körper und Seele. Um es mit den Worten von Tschuang-Tse, eines Philosophen des alten Chinas zu sagen: „Alles ist eins. Während des Schlafens ist die Seele nicht abgelenkt, sie ist aufgenommen in die Einheit. Wach und abgelenkt, sieht sie die Unterschiede“.